Tag 7
27. August 2024: Good morning Shipshewana! Nach einer kurzen Nacht tut der morgendliche Kaffee gut die Lebensgeister wieder zu wecken. Die Sonne ist gerade aufgegangen und die Temperaturen für heute sehen erneut vielversprechend aus – am Nachmittag sollen sogar 37 Grad erreicht werden. Mit diesen Nachrichten lässt es sich in den neuen Tag starten. Nachdem wir gestern bereits viel über die Mennoniten und Amish im Begegnungszentrum Mennohof gelernt haben, dürfen wir heute in das Leben der letzteren Gruppe eintauchen. Unser Guide Orv, der für den erkrankten Orley eingesprungen ist, kommt um 8.15 mit seinem Fahrrad und der typischen amishen Kleidung direkt zu unserem Hotel. Von hier aus fahren wir zu einer erst 2022 eröffneten Schule.
Orv erzählt uns, dass jedes Jahr vier bis fünf neue Schulen eröffnet werden, da die Anzahl der Kinder so hoch ist. Eine Familie hat zwischen sechs und zwölf Kinder und in Indiana gibt es über zweihundert Distrikte, in denen die Amish organisiert sind. In jedem Distrikt leben ca. dreißig Familien, die ihre eigenen Kirchenvorsteher haben. Wenn es mehr als 50 Kinder in einem Distrikt gibt baut man wieder eine neue Schule. Das lässt erahnen, dass die Geburtenrate nach wie vor sehr hoch ist - im Gegensatz zum Rest der USA. Wir dürfen in eine der Schulen, die Newbury Hill School, die aus einem großen Klassenzimmer besteht, das mit einem mobilen Vorgang geteilt werden kann. Die Schüler erwarten uns bereits und wir haben die Gelegenheit Fragen zu stellen, ihren Liedern zuzuhören und Einblick in den Schulalltag zu bekommen. Die Schulen sind überall gleich organisiert: zwei Lehrkräfte, ohne universitäre Ausbildung, unterrichten die Schüler in den Grundfähigkeiten. Dabei sind alle Klassen, wie das da auch noch zur Zeit meines Vaters war, in einem großen Raum untergebracht. Wir sind beeindruckt von der Stille, der großen Aufmerksamkeit und den wenigen Anweisungen der Lehrer, mit denen die Schüler im Klassenzimmer ausschwirren und sich ganz neu gruppieren. Sie sind zwar sehr schüchtern, singen aber von Herzen das Lied There is a rainbow shining somewhere. Gänsehaut!
Auch wenn die Schüler in der Schule zu 90 Prozent Englisch sprechen, zu Hause dominiert das Pennsylvania-Dutch, eine Mischung ich aus Niederländisch, Schwäbisch und anderen Süddeutschen Dialekten. Wir können alles verstehen, was wirklich erstaunlich ist. Ihre Kirchenlieder sind in Deutsch, wobei unser Guide Orv meint, dass sie nicht alle Worte verstehen. Wie überall hält auch hier der Wandel Einzug. Die berühmten Buggies werden immer mehr von Fahrrädern und E-Bikes abgelöst. Unser Guide besitzt sogar ein Handy. Es ist trotz alledem beeindruckend, wir sehr die Amish es geschafft haben ihre eigene Lebensweise über die Zeit zu bewahren. Nach unserem Schulbesuch fahren wir zu einer Ledermanufaktur, wo wir sehen wie viele Hände das Leder bearbeiten und zu diversen Waren zusammennähen. Die Auswahl an Leder ist immens: Elefant, Schlange, Strauss, sämtliches Fischleder, Alligator, Stachelrochen ... Wow.
Die Arbeitszeit, die in den Waren steckt und die Qualität sind den Preisen der Produkte vollkommen angemessen. Viele kaufen auch etwas: Gürtel, Geldbörsen, Handtaschen, Geldclips. Die Zeit vergeht wie im Fluge, so dass es bereits Mittagszeit ist, wo wir zu einer Amishfamillie fahren, die für uns traditionelles Essen mit ganz viel Liebe gekocht hat. “Es schmeckt so wie bei Oma” sagen einige Schüler und lassen sich sogar Rezepte aufschreiben. Eine tolle Abwechslung zu all dem Fastfood das es in den USA sonst an jeder Straßenecke gibt. Danke Yoder Family for your hospitality!
In der Lederwarenmanufaktur, die wir zuvor besucht haben, haben sich einige Mädels mit einer gleichaltrigen Amish unterhalten, die nächste Woche heiratet. Orv bekommt das mit und meint, dass er jemanden kennt der morgen heiratet. Also ändern wir kurzerhand unseren Plan und fahren zu besagter Familie, um zu sehen inwieweit sich die Hochzeiten der Amishen von unseren unterscheiden. Was für eine tolle Gelegenheit. Auf Reisen sind es genau diese Begegnungen mit Einheimischen, die einem einen komplett anderen Zugang zu einer Gegend geben können. Auf dem Weg dorthin fahren wir langgezogene Straßen entlang auf deren Seiten Koppeln und Farmhäuser gebaut sind. Zwischendurch taucht eine weitere Schule auf und Amishen kommen auf Fahrrädern oder den typischen Kutschen entgegen. Ein krasser Gegensatz zu der Welt, in die wir heute gegen Abend eintauchen werden, wenn wir in Downtown Chicago unser Hotel beziehen werden. Die Brautleute (Mel Miller, 0650 South 900 West, Shipshewana, Indiana) und auch die Brauteltern unterhalten sich sofort mit uns und brechen mit dem Cliché, dass alle Amishen rückwärtsgewandte und abgewandte Menschen seien.
Die morgige Hochzeit wird rund 1000 Gäste
umfassen und deshalb am Vormittag und am Nachmittag abgehalten bzw. wiederholt,
damit alle Gäste Platz finden. Der Pferdestall wurde dafür sogar extra komplett
auseinander gebaut und mit Tischen und Stühlen ausgestattet. Die Tischdeko und
alles andere ist wunderschön arrangiert. Mindestens zwanzig Helfer sind vor Ort.
Alle sind sofort gesprächsbereit. Wir erleben sie also als offene,
interessierte, wenn auch als teils zurückhaltende und bedachte Menschen, deren
Werte nicht auf das Individuum, sondern immer auf die Gemeinde gerichtet ist. Bevor
wir weiterfahren, bekommen wir sogar noch jeder ein Hochzeitsgeschenk
überreicht – und wir haben nichts mitgebracht ☹.
Weiter geht’s: wir machen noch einen
Zwischenstopp bei Teamberry Wood Products. Ebenfalls eine Manufaktur, in der
wir sehen, wie Spielzeug, Körbe und andere Holzprodukte hergestellt werden. Der
Eigentümer erinnert sich sogar noch an mich und zusammen machen wir ein Foto.
Ein kurzer, aber schöner Stopp, bei dem viele Souvenirs gekauft werden. 😊 Die Zeit rennt leider
gnadenlos weiter, deshalb wird es nach dreißig Minuten schon wieder Zeit
aufzubrechen zu Riverbend, einem Geschäft für Pferdebedarf. Der Besitzer
beschlägt auch Pferde für die lokale Gemeinde. Zum Abschied bekommen wir noch
frisch gepressten Apfelsaft.
Wir verlassen die kleinen teils unbefestigten Straßen und fahren auf die Hauptstraße, wo wir uns auch von Orv verabschieden müssen. Weiter geht's nach Notre Dame, einem der Unicapusse des Landes, Heimat der Fighting Irish. Leider wurde heute morgen unsere Führung auf dem Campus kurzfristig gecancelt, weshalb ich als Reiseleiter einspringen werde - obwohl ich natürlich noch nie da war. Unser Startpunkt ist das Eck Visitor Center im Süden des riesigen Campus. Dort schauen wir uns zunächst einen Film über die altehrwürdige Universität an. Die University of Notre Dame du Lac ist eine katholische Privatuniversität im US-Bundesstaat Indiana. Sie wurde im Jahre 1842 von dem französischen Priester Edward Sorin gegründet. Sie zählt als eine der besten Universitäten in den Vereinigten Staaten. In den Rankings steht Notre Dame mit anderen Elite-Universitäten wie Stanford, Yale, Northwestern und Duke in Wettbewerb und ist bekannt für ihr American Football Team, den Fighting Irish. Während wir den Campus bei schwülwarmen Temperaturen besuchen, zieht sich ein Gewitter zusammen, das uns mit heftigen Blitz- und Donnerschlägen zusammenzucken lässt.
Leider wird das Wetter nicht wirklich besser, so dass wir die große Bücherei und das bekannte Football Stadion nicht mehr besuchen können. Denn es ist bereits die zweite Gewitterzelle im Anmarsch. Dean kommt uns zum Glück mit den Bus entgegen, so dass wir eine kurze Regenpause nutzen um wieder in den Bus zu steigen und auf unsere letzte Etappe aufbrechen mit dem Lamers Bus: auf nach Downtown Chicago! Als wir auf den Highway gefahren sind, fahren wir der Gewitterwand davon, sie wird uns allerdings in Chicago wieder einholen. Vor uns liegt nun wieder strahlender Sonnenschein und 90 Minuten Busfahrt. Kaum zu glauben, dass das wohl das letzte Mal sein wird, dass Dean uns fahren wird. Er ist bereits 75 und wird in zwei Jahren nicht mehr zur Verfügung stehen. Allerdings plant er schon eine Donauflusskreuzfahrt, die ich ihm wärmstens empfehlen konnte. Danke Dean - du warst letztes und dieses Jahr ein super netter, immer sicherer und äußerst zuverlässiger Chauffeur!
Als wir mit unserem ganzen Gepäck in der Hotellobby stehen, werden wieder die Key Cards verteilt und die Schüler können sich nach dem langen Tag erstmal ausruhen und neue Kraft schöpfen. Am Abend, als die Sonne untergegangen ist suchen wir uns noch etwas zu essen und erkunden die unmittelbare Umgebung unseres Hotels, inmitten der Häuserschluchten. Chicago here we are!
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