Tag 9
29. August 2024: Good morning Chicago. Unsere zweite Nacht hier in der
Millionenmetropole des Mittleren Westens liegt hinter uns. Wir waren gestern
Abend alle müde und teils auch erschlagen von all den neuen Eindrücken die die
Stadt zu bieten hat. Von oben sieht das Stadtzentrum wie ein gigantisches
quadratisches Schachbrettmuster aus, dessen Straßenzüge in Blocks untergliedert
sind. Durch die Hochhäuser kann man auch schnell getäuscht werden, wenn es um
Distanzen geht. Letztlich ist die Stadt zwar nicht so wuselig, laut und
schlaflos wie New York, aber aufgrund der vielfältigen Architektur und der
langen Distanzen eine andere Welt zu unserem beschaulichen Passau.
Wie kam es
eigentlich dazu, das ausgerechnet die Windy City am Lake Michigan ein Mekka der
architektonischen Baukunst wurde? Im Jahre 1871 brannte es in Chicago. Die
Ursache ist bis heute ungeklärt. Einige beschuldigen tatsächlich eine Kuh, die
während dem Melken im Stall von Catherine O’Leary eine Laterne umgeworfen haben
soll und dadurch das Feuer entfachte. Wieder andere behaupten, dass ein
Kometeneinschlag schuld gewesen sei. Wer auch immer der Übeltäter war: zwei
Tage später lag ein Drittel der hölzernen Stadt in Schutt und Asche. Damit
dieses Unglück kein zweites Mal passiert, wurden Brandgrenzen eingeführt, die
verhindern sollten, dass im Stadtzentrum Holzhäuser gebaut wurden. Das war die
Geburtsstunde der Chicagoer Architekturschule, die den Weg der Moderne ebnete
und feuergeschützte Stahlträgern-Konstruktionen einsetzte. Ab diesem Zeitpunkt
war der Bau von Hochhäusern möglich. Vorreiter war William Le Baron Jenney, der
das zehn Stockwerke hohe Home Insurance Building baute, das bis heute als
weltweit erster Wolkenkratzer gilt. Weitere Hochhäuser folgten, was heute zu
einer einzigartigen Kulisse führt, die wir bereits gestern live und aus der
Nähe bewundern durften. Die architektonischen Werke lassen sich am besten per
Bootsfahrt auf dem Chicago River bestaunen. Dieser Programmpunkt steht deshalb
heute Vormittag nach dem Frühstück auf unserer Agenda. Der Fluss war einst das
wichtigste Trinkwasserreservoir der Stadt. Durch die zunehmende
Industrialisierung gelangten jedoch immer mehr Abwässer und Abfälle über den
Fluss in den Michigansee. Um die daraus resultierende Cholera-Epidemie im 19.
Jahrhundert einzudämmen, wurde ein Kanal gebaut, der die Flussrichtung durch
ein komplexes Schleusensystem umkehrte. Heute ist der Chicago River sauber und
durch einen modernen Riverwalk ist der Fluss ein Teil des Herzstückes der Stadt
geworden. Durch das Schleusensystem fließt der Fluss zudem rückwärts, eine
absolute Besonderheit.
Als wir pünktlich am Pier ankommen gibt es ein klitzekleines Problem: die Tickets bzw. deren QR Codes können nicht gelesen werden, weshalb wir erst einmal nicht auf Schiff dürfen. Nach mehr als 1,5 Stunden in der Warteschleife einerseits und kontinuierlichem Einreden auf den Shoreline Manager an der Waterfront gibt es endlich eine Lösung des Problems. Zum Glück haben wir zuvor bereits die Schüler entlassen und die Freizeit, die eigentlich erst um die Mittagszeit vorgesehen war, vorgezogen. Dafür holen wir den vormittäglichen Programmpunkt zum zwei Uhr nach. Die Tickets haben wir schon. Bei strahlendem Sonnenschein gehen wir an Bord von Shoreline Cruise und fahren flussaufwärts entlang der Hochhäuser, die sich dicht an dicht drängen.
Die
Sonnenstrahlen spiegeln sich in den schier endlosen Glasfassaden wieder und
zeigen uns noch einmal einen ganz anderen Blick auf die Stadt. Vorbei am Trump
Tower, dem Wrigley Building ... Einfach toll! 😃 Auf der Fahrt erfahren wir neben zahlreichen Infos über die
Gebäude auch etwas über den Namen der Stadt: Chicago bedeutet in der Native
Tongue soviel wie “big stinky onion”. Interessant, neben dem Big Apple auch
eine große stinkende Zwiebel zu haben 🤣😁.
Am Nachmittag teilen wir uns wieder auf und gehen unterschiedliche Wege. Wir Lehrkräfte entscheiden uns für Old Town, den Stadtteil, in dem Emerenz Meier zu Beginn ihrer Auswanderung gewohnt hat. Wir besuchen auch St. Michael, eine katholischen Kirche, die speziell von deutschen Auswanderern aufgebaut und besucht wurde.
Old Town ist zwar nur vier Haltestellen vom Stadtzentrum entfernt, aber das Viertel ist komplett anders. Es gibt keine Hochhäuser, stattdessen viele kleine, teils sogar renovierte victorianische Häuschen, die versetzt zur Straße ein wunderschönes Gesamtbild ergeben. Zusammen schlendern wir durch die schönen Straßen und kehren in einer Eckkneipe ein, wo gerade einige Tische an der Straße eingedeckt werden - das Two Anchors. Wir entschieden uns für die “besten Ribs der Welt” mit Baked Beans, Idaho Kartoffel und Käse-Spinat Auflauf. Es entpuppt sich als kulinarisches Highlight: die Rippchen sind butterzart und haben eine klasse Marinade und die Baked Beans sind mit Pulled Pork und vielen Gewürzen selbst gemacht. So etwas sage ich nicht all zu oft, aber die Beans sind die besten, die ich bislang gegessen habe. Wir sind die einzigen Touristen dort, dafür füllt sich der Laden immer mehr mit Locals während wir essen. Zum Nachtisch schlecken wir noch ein selbst gemachtes Steckerleis, bevor wir Richtung Hansock Tower aufbrechen, wo wir den Sonnenuntergang und das Lichtermeer auf uns zu wirken lassen.
Kaum zu glauben, aber einige Schüler verlassen schon kurz nachdem sie mit dem Aufzug in den 94. Stock gefahren sind wieder das Observation Deck, ohne das Lichtermeer mit eigenen Augen gesehen zu haben. Für mich und meine Kolleginnen ist dieser Programmpunkt ein absolutes Highlight, nicht nur des Tages, sondern der gesamten Rundreise.
Ein
wunderschöner Abschluss, bevor wir morgen Nachmittag Chicago den Rücken
kehren, in das zwei Stunden entfernte Milwaukee aufbrechen und die
Schüler in ihre Gastfamilien kommen werden. Die Aufregung, was auf einen wohl warten
mag, steigt.
Für uns heißt es Abschied nehmen: Frau Rabenbauer fliegt morgen
wieder Richtung Heimat, während wir zur zweiten Etappe der Reise aufbrechen.
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